Peng Kuan-lin(彭冠霖) verbrachte über zwei Jahrzehnte damit, traditionelle chinesische Architektur im Kleinformat nachzubauen.
Modernisierung und Verstädterung sind nicht gerade nett zu alten Gebäuden, da traditionelle Bauten hinsichtlich der Landnutzung viel weniger wirtschaftlich sind als Hochhäuser. Die Zerstörung dieser alten Gebäude bedeutet indes einen schweren Verlust in einem der Bereiche großer Errungenschaften chinesischer Kultur. Seit über zwei Jahrzehnten versucht Peng Kuan-lin, einen Teil dieses architektonischen Erbes im Kleinformat wieder aufleben zu lassen.
Peng kam im Jahre 1956 in Yangmei (Landkreis Taoyuan) zur Welt und machte nach Abschluss der Mittelschule eine Schreinerlehre. Anschließend arbeitete er für verschiedene Fabriken und stellte alle möglichen Arten von Holzprodukten her, von Möbeln bis Kunsthandwerk. Nach seinen Worten machten damals fast alle dieser Fabriken auf dem Exportmarkt gute Gewinne. "So ziemlich das einzige, was ich damals nicht hergestellt habe, waren Särge", bedauert Peng. "Ich erwarb verschiedene Schreinerei- und Geschäftsfertigkeiten und dachte darüber nach, eines Tages selbst eine Fabrik zu gründen."
Peng machte sich später wirklich selbständig und produzierte hölzerne Puppenhausmöbel für den Export. In den ersten Jahren liefen die Geschäfte gut, verschlechterten sich dann aber dramatisch, gerade als er mehr Kapital in Maschinen investiert hatte, denn nun wurde China mit seinen viel geringeren Produktionskosten der Hauptlieferant auf dem Markt. Peng ging bankrott und saß schließlich auf einem Haufen Maschinen ohne Wiederverkaufswert.
Verminderte Umstände
Als Peng eine Weile nichts zu tun hatte, kramte er ein paar Bücher über westliche maßstabgetreue Miniaturhäuser hervor, die ihm ein Kunde gegeben hatte, als Peng noch im Geschäft war. Nun fing er an, eins zu bauen. Obwohl er praktisch keine Ahnung von westlicher Architektur hatte, stellte er in vier Monaten ein dreistöckiges Haus mit sechs Räumen im viktorianischen Stil komplett mit Möbeln, Beleuchtung und allem Drum und Dran fertig. "Das war eigentlich nur für den Zeitvertreib, da ich damals im Grunde genommen keine Existenz hatte", erklärt er. "Dann fiel mir auf, dass die Stadt voller Hochhäuser im westlichen Stil war, und ich fragte mich, ob es möglich wäre, die einzigartigen Eigenschaften chinesischer Architektur nachzubilden, die allmählich aus unserem Stadtbild verschwand."
Die Hoffnung, seine Arbeit könnte neues Interesse an traditioneller chinesischer Architektur wecken, spielte nur zum Teil eine Rolle bei Pengs Entschluss, sich auf den Bau von Miniaturhäusern zu konzentrieren. Ein weiterer wichtiger Grund war, dass er seine Investition in die Maschinen schützen wollte. "Ich wollte sie nicht einfach herumstehen und verrosten lassen, daher bestieg ich das Pferd und kam nicht mehr runter", beschreibt er. "Und da es nichts Vergleichbares auf dem Markt gab, sah das wie eine Gelegenheit für ein lohnendes Geschäft aus." Da er zuvor nur ein westliches Puppenhaus konstruiert hatte, gab es für Peng bei chinesischer Architektur noch allerhand zu lernen.
Nach einiger Forschung kam er zu dem Schluss, dass Pavillons ein guter Einstieg seien, denn sie bestehen nur aus einem Fundament, einem Dach und Säulen, und sie sind die kleinsten und einfachsten Gebäude in chinesischer Architektur. "Es war leichter für mich, Zeichnungen für Baupläne anzufertigen", berichtet Peng. "Ich glaubte auch, sie seien wohl leichter zu verkaufen, da sie weniger Ausstellungsraum benötigten." In seinem ersten Jahr erlitt Peng mit jedem Pavillon, den er zu entwerfen versuchte, Schiffbruch. Als er schließlich sein erstes Stück fertig hatte, fand er, dass es noch viel zu wünschen übrig ließ. Er schrieb seine Unzufriedenheit einem Mangel an detaillierten Zeichnungen als Vorlagen zu, sehr wenigen intakten Mustern, die er hätte nachbauen können, und der Knappheit an Referenzmaterialien. Tatsächlich konnten viele Referenzmaterialien oder Zeichnungen architektonischer Strukturen bestimmter Gebäude in China gefunden werden, doch sie waren für Peng wegen der damaligen politischen Verhältnisse über die Taiwanstraße nicht zugänglich.
Die in Taiwan erhältlichen Gemälde und Zeichnungen boten nur unvollkommene Anleitung. Glücklicherweise erkannte Peng, dass chinesische Architektur sich fast immer streng symmetrisch ist, deswegen konnte er, auch wenn ein Bild nur einen Teil eines Baus zeigte, in der Regel raten, wie der Rest davon aussah. Im Hinblick auf die Größe eines Gebäudes erläutert Peng, dass Türen, Balustraden und Sitzgelegenheiten in klassischen Gebäuden nach festgelegten Maßen hergestellt wurden. So sind die Sitzgelegenheiten in Pavillons rund 50 Zentimeter hoch, daher konnte man anhand eines Stuhls in einem Bild sicher die Größe der Gesamtstruktur errechnen. Raten und extrapolieren ist jedoch heute nicht mehr nötig, da der Zugang zu chinesischen Referenzmaterialien mittlerweile kein Problem mehr ist.

Die Dächer chinesischer Gebäude mit ihren nach oben geschwungenen Spitzen sind besonders schwer nachzubilden.
Maßstabsgerechte Darstellung
Peng hält sich für seine Miniaturhäuser an westliche Maßstäbe und fertigt seine Stücke exakt im Maßstab 1 zu 12 der Originalgröße an. Er verwendet rotes Sandelholz, einst bekannt als Material für die Herstellung kaiserlichen Mobiliars. Das Holz ist hart, widerstandsfähig gegen Termiten und Verfaulen sowie außerordentlich teuer -- ungefähr 20 US$ für ein Zwölftel eines Kubikfußes (2359,728 cm2). Dabei ist Geld nicht immer das Hauptproblem -- das Angebot ist knapp, seit der Hauptlieferant Vietnam den Einschlag roten Sandelholzes verboten hat. Peng hat einen Posten des Holzes gehortet, als es eine Gelegenheit gab, und glaubt, damit eine Weile auszukommen.
Der Bau einer Miniatur ist wie der Bau eines echten Hauses, doch die Techniken sind wegen des Größenunterschiedes anders. Zum Beispiel werden viele Teile der Miniatur miteinander verleimt anstatt verzapft. Die unterschiedliche Methode spielt für den Betrachter keine Rolle, da die fertigen Gebäude so aussehen wie das Original. Damit seine Arbeiten noch naturgetreuer aussehen, bestellt Peng in China eigens Keramikfiguren für seine Miniaturen.
In Pengs Augen ist der schwierigste Teil traditioneller Gebäude das Dach. Die frühesten Bauten hatten viereckige Dächer, weil die am einfachsten zu bauen sind. Als sich das Können der Baumeister im Laufe der Zeit verbesserte, entstanden kompliziertere Dachkonstruktionen -- dreieckig, fünfeckig, sechseckig, achteckig, ja sogar Dächer in Form von Fächern oder Pflaumenblüten. Die Komplexität wurde noch dadurch erhöht, dass viele der Dächer mit doppelten oder dreifachen Dachvorsprüngen konstruiert wurden. "Westliche Dächer sind bei maßstabgetreuen Modellen meistens einfache Zusammensetzungen flacher Teile, doch chinesische Dächer sind viel komplizierter, besonders die mit aufwärts geschwungenen Dachvorsprüngen", sagt Peng. "Fragen Sie einen beliebigen Zimmermann, der wird Ihnen sagen, dass die schwierigste Fertigkeit in dem Gewerbe darin besteht, ein Holzstück zu dem gewünschten Bogen zu krümmen." Für spektakuläre Krümmungen, welche rotes Sandelholz nicht zulässt, muss er zuweilen mehrere Holzstücke zusammenleimen und sorgt mit seiner Kunstfertigkeit dafür, dass es nahtlos aussieht.
Die eigentliche Bauzeit für die einfachsten Modelle beträgt einen bis zwei Monate, aber für die meisten Werke braucht Peng erheblich länger. Ein Stück, das außergewöhnlich viel Zeit erforderte, war der Wanchun-Pavillon. Das Original, das in den Gärten der Verbotenen Stadt in Beijing steht, war während der Ming-Dynastie (1368-1644) gebaut und in der Qing-Dynastie (1644-1911) rekonstruiert worden. Anders als die meisten von Pengs Arbeiten hat dieses Modell kein Fundament, so dass Betrachter sich darunter stellen und einen Blick nach oben auf die komplizierte Deckenkonstruktion werfen können. Für den Bau des Wanchun-Pavillons brauchte Peng sechs Monate, und für die Nachbildung des Lian Shan Shuang Lin-Klosters, einem nationalen Monument in Singapur, sogar noch länger. Die Klosteranlage ist Pengs einzige Nachbildung im Maßstab 1 zu 20 und dabei dennoch sein größtes Stück. Mit allen Hallen, Türmen und Wänden zusammen ist das Minidomm -Kloster 13 Meter lang und 3 Meter breit. Peng arbeitete fünf Jahre daran und unternahm mehrere Reisen nach Singapur, um zwei Exemplare herzustellen, von denen sich heute eines in Singapur befindet und das andere in Pengs Atelier.
Hausarbeit ohne Ende
Seit 1984 ist eine Sieben-Tage-Woche mit 16 Stunden Arbeit am Tag für Peng normal. "Ich war so zurückgezogen, dass sogar meine Familie mich nicht mehr anrief oder besuchte, und drei Jahre hintereinander fuhr ich nicht mal zu Chinesisch-Neujahr heim", gesteht er. "Meine Familie hielt mich für besessen, und wahrscheinlich war ich das auch." Der Lohn für seinen Fleiß kam schließlich im Jahre 1988, als seine erste Solo-Ausstellung im Provinzmuseum Taiwan (seit 1999 Nationalmuseum Taiwan genannt) stattfand und dabei 20 Pavillons gezeigt wurden. Die ursprünglich auf 30 Tage angesetzte Ausstellung fand so großen Anklang, dass sie um weitere 30 Tage verlängert wurde. In den folgenden zwei Jahren wurde Peng gebeten, Ausstellungen in den Kulturzentren von Taoyuan, Keelung, Tainan und Miaoli zu veranstalten. Die Ausstellungen brachten ihm hohes Lob von Freunden chinesischer Architektur ein, etwa von Lee Chian-lang, einem führenden Gelehrten des Bereichs chinesischer Architektur. Lee wurde später als Berater für die Restaurierung des Shuang Lin-Klosters unter Vertrag genommen und empfahl Peng für das Miniaturprojekt. Peng selbst ist gar kein besonders großer Freund von Ausstellungen, denn seine Arbeiten von einem Ort zum anderen zu verfrachten ist eine logistische Herausforderung, zu der er einen Kran und einen Frachtcontainer braucht, was ihm jedesmal beträchtliches Kopfzerbrechen bereitet.
Neben Freunden traditioneller Architektur lockten die Ausstellungen auch Kaufinteressenten an. Der Verkauf von Nachbildungen seiner Arbeiten ist zu Pengs Haupteinnahmequelle geworden. Für ein einzelnes Exemplar berechnet Peng zwischen 30 000 und 300 000 NT$ (681 bis 6818 Euro). Wegen der Kosten von rotem Sandelholz, des in Maschinen investierten Kapitals und der zur Fertigstellung der Werke erforderlichen Zeit konnten selbst die Nachbestellungen und die Hilfe seines jüngeren Bruders und anderer gedungener Mitarbeiter seine Gewinnspanne nicht vergrößern. "Selbst wenn ich 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche arbeite, verdiene ich nicht mehr als ein durchschnittlicher Schreiner mit 2000 NT$ (45 Euro) am Tag", enthüllt Peng.
Die gute Zeit hielt ungefähr ein Jahrzehnt bis zur Jahrtausendwende an. Peng glaubt, dass die Wirtschaftsflaute gewisse Auswirkungen hatte, doch den Hauptgrund für die Verschlechterung seines Geschäfts sieht er in der geringen Zahl von Miniaturhäuser-Enthusiasten in Taiwan. Um seinen Kundenstamm ein wenig zu vergrößern, öffnete er im Jahr 2000 seine Werkstatt für das allgemeine Publikum, so dass Besucher dort seine 50 vollendeten Arbeiten bewundern können. Die meisten Originalbauten, die in den Miniaturen nachgebildet sind, stehen in China, nur ein paar Modelle haben taiwanische Vorbilder wie der Shanmen-Pavillon des Lungshan-Tempels in Lugang (Landkreis Changhua) oder das Jingfu-Tor (das östliche Stadttor der alten Stadt Taipeh).
Pengs Galerie in Yangmei wurde vom Landkreis Taoyuan als Stätte eingestuft, die man unbedingt gesehen haben muss. Das hatte jedoch unerwartete Folgen. "Ich hatte 500 Besucher am Tag, keine Zeit zum Arbeiten, und verkaufte kein einziges Stück", murrt er. "Den Leuten gefiel, was sie bei mir sahen, doch sobald sie den Preis hörten, waren sie abgeschreckt." Nach rund einem Jahr schloss Peng seine Pforten für Laufkundschaft und empfängt heute nur noch Gruppen mit Voranmeldung. Für seinen Lebensunterhalt produziert Peng Tische für Götterstatuen oder Ahnentafeln, auch wenn das Geschäft aufgrund der Konkurrenz billiger Fabrikware mau ist.
Peng ist schon etwas frustriert über die finanziellen Schwierigkeiten, die ihn daran hinderten, viele seiner Projekte zu realisieren. "Wenn ich das Geld hätte, könnte ich in meinen Miniaturen kleine Kameras installieren, damit die Menschen das Innere anschauen können", seufzt er und holt dann eine Fotokopie eines Gemäldes von einem Palast aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 219 n. Chr.) hervor. "Das eigentliche Objekt gibt es schon lange nicht mehr, doch ich werde es eines Tages auf meine Weise nachbilden." Die Besessenheit hat offensichtlich noch nicht nachgelassen.
(Deutsch von Tilman Aretz)